Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des Bundesarbeitsgerichts
1. Eine Arbeitnehmervereinigung ist eine Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinne nur, wenn sie gewisse Mindestvoraussetzungen erfüllt. Sie muss sich als satzungsmäßige Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge abzuschließen. Sie muss frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Darüber hinaus muss sie Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler besitzen und über eine gewisse Leistungsfähigkeit der Organisation verfügen.
2. Nicht jegliche Beeinträchtigung der Unabhängigkeit schließt die Gewerkschaftseigenschaft aus. Dies ist erst der Fall, wenn die Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler in der Struktur der Arbeitnehmervereinigung angelegt ist. Maßgeblich für die Beurteilung sind die Umstände des Einzelfalls.
3. Für die Beurteilung der Durchsetzungskraft kommt der Mitgliederzahl entscheidende Bedeutung zu. Die Organisationsstärke ist unter Berücksichtigung des von der Arbeitnehmervereinigung gewählten räumlichen und fachlichen Zuständigkeitsbereichs zu bewerten. Bei einer nur kleinen Zahl von Mitgliedern kann sich die Möglichkeit einer Arbeitnehmervereinigung, empfindlichen Druck auf den sozialen Gegenspieler auszuüben, auch daraus ergeben, dass es sich bei den organisierten Arbeitnehmern um Spezialisten in Schlüsselstellungen handelt, die von der Arbeitgeberseite im Falle eines Arbeitskampfs kurzfristig überhaupt nicht oder nur schwer ersetzt werden können.
4. Ob der vorhandene organisatorische Aufbau genügt, um die einer Gewerkschaft gestellten Aufgaben zu erfüllen, richtet sich ebenfalls nach dem von der Arbeitnehmervereinigung gewählten Zuständigkeitsbereich. Ist dieser auf eine Berufsgruppe und wenige räumliche Schwerpunkte konzentriert, kann auch ein relativ kleiner, zentralisierter Apparat ausreichen.
5. Doppelmitgliedschaften von Arbeitnehmern in mehreren Arbeitnehmervereinigungen stehen deren Gewerkschaftseigenschaft nicht entgegen. Sie stellen auch deren Durchsetzungskraft nicht in Frage.
6. Der Grundsatz der Tarifeinheit hindert das Nebeneinander konkurrierender Gewerkschaften nicht.
Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG.
§ 2 Abs. 1 TVG.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14. Dezember 2005 – 1 ABR 51/03 –
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1868-7857.2005.08.10 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1868-7857 |
Ausgabe / Jahr: | 8 / 2005 |
Veröffentlicht: | 2005-08-01 |
Seiten 348 - 356
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